11.10.2008
Hohenheimer Aufruf zur Finanzkrise: Keine Wirtschaftskrise herbeireden!
Mit großer Sorge verfolgen wir die Entwicklung der Finanzkrise in
Deutschland. Aus der amerikanischen Immobilienkrise hat sich auch in
Deutschland eine Bankenkrise entwickelt, die nun zu einer dramatischen
Wirtschaftskrise auszuwachsen droht. Dies muss aber nicht so sein!
So schlimm die Immobilienkrise und die Banken- bzw. Finanzkrise auch
sind, eine für uns alle dramatische Wirtschaftskrise entsteht
hierdurch erst dann, wenn Banken, Unternehmen, Politik, Medien und
Bürger daran glauben oder sogar bewusst oder unbewusst dazu beitragen,
eine Wirtschaftskrise herbeizureden.
Eine gravierende Wirtschaftskrise lässt sich aber noch abwenden, wenn
alle Teile der Gesellschaft in dieser kritischen Situation ihrer, auch
ganz individuellen Verantwortung gerecht werden. Wir, die
unterzeichnenden Hohenheimer Professorinnen und Professoren der
Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften fordern daher Banken,
Politik, Wissenschaft, Unternehmen, Medien und Bürger zur Übernahme
von Verantwortung in der aktuellen Finanzkrise auf, damit kein Self-
fulfilling-Prophecy-Mechanismus in Gang kommt und eine umfassende
Wirtschaftskrise entsteht.
Im Einzelnen bedeutet dies aus unserer Sicht für die verschiedenen
gesellschaftlichen Gruppierungen:
Verantwortung der Banken
1. Die Banken müssen das wirkliche Ausmaß der bestehenden Finanzkrise
aufdecken. Jedes Bankunternehmen muss sofort und vollständig
offenlegen, welche potenziellen Risiken durch die Immobilien- und
Finanzkrise für die eigene Geschäftssituation entstanden sind.
Vertrauen in verantwortungsvolles Handeln der Banken kann nur dann
wieder wachsen, wenn nicht immer wieder neue, bislang unbekannte
Risiken und Ausfälle bekannt werden und diese nur "scheibchenweise"
zugegeben werden.
2. Die Solidarität zwischen den Banken in Deutschland darf in der
bestehenden Situation keine Grenzen kennen. Alle Banken sitzen im
gleichen Boot. Wenn das Vertrauen weiter schwindet, dann geraten alle
Institute in Schieflage. Daher müssen einzelne Banken, die in
Schwierigkeiten geraten, wie bisher von allen anderen Banken
aufgefangen werden. Der Staat darf zukünftig nur noch im Ausnahmefall
als "Retter" angerufen werden, da dies zeigt, dass die brancheninterne
Solidarität Grenzen hat.
3. Die Banken müssen ihren internationalen Einfluss nutzen, um
weltweit eine stärkere und einheitliche Bankenregulierung auf den Weg
zu bringen. Vor allem muss das Finanzwesen auch in angelsächsischen
Ländern reguliert werden. Ihr Interesse an einer internationalen
einheitlichen Bankenaufsicht müssen die Banken den Menschen umgehend
kommunizieren.
Verantwortung der Politik
4. Die Politik muss sich als allererstes darum kümmern, dass solche
Finanzkrisen in einer globalen Finanzwelt zukünftig nicht mehr in der
augenblicklichen Form auftreten können. Wir fordern die Politik auf,
Vorstellungen zu entwickeln, wie eine internationale Finanzregulierung
aussehen kann und wie die angelsächsischen Staaten integriert werden
können.
5. Die Politik darf bei der Finanzkrise keine Partikularinteressen
verfolgen. Wer versucht, mit dem Thema "Finanzkrise" versteckten
Wahlkampf zu machen oder auf internationalem Parkett nur
Landesinteressen zu verfolgen, schadet der Gesellschaft und letztlich
auch seinen eigenen Zielen.
6. Zusätzlich muss die Politik offen sagen, welche Belastungen für die
öffentlichen Haushalte durch die Krise entstehen. Denn nur eine solche
Offenheit erzeugt Vertrauen in das Handeln der Politik innerhalb der
augenblicklichen Krisensituation.
7. Auch muss die Politik den Banken bei der Bereinigung der
Bankbilanzen helfen. Wenn die Banken alle Wertberichtigungen sofort
und vollständig geltend machen müssen, wird dies hohe Verlustausweise
zur Folge haben. Dies wird die Banken schwächen und das ihnen
entgegengebrachte Vertrauen wieder zerstören.
Verantwortung der Wissenschaft
8. Bei der Entwicklung einer international funktionierenden Banken-
und Finanzaufsicht benötigt die Politik Hilfestellung. Diese kann und
darf nicht allein von den Banken und den Finanzinstitutionen selbst
eingefordert werden. Stattdessen ist hier die Wissenschaft mit ihrer
Unabhängigkeit gefordert. Diese muss schnellstmöglich Vorschläge für
den Aufbau einer international funktionierenden Banken- und
Finanzaufsicht machen, die politisch auch durchsetzbar sind.
Verantwortung der Unternehmen
9. Die Unternehmen dürfen die Finanzkrise nicht für
"Trittbrettfahrereffekte" ausnutzen. Es ist verantwortungslos,
wirtschaftliche Schwierigkeiten, die aus anderen Gründen entstanden
sind, als Folge der Finanzkrise darzustellen. "Bänder" stehen nicht
plötzlich wegen der Finanzkrise still, sondern weil man schlechte
Produkte, zu hohe Preise oder einen schlechten Service hat!
Verantwortung der Medien
10. Die Medien dürfen den drohenden "Self-fulfilling-Prophecy-
Mechanismus" nicht noch anheizen! Daher fordern wir, dass die
Berichterstattung über die Finanzkrise
* nicht übertrieben umfangreich,
* ausgewogen und objektiv in der inhaltlichen Aufbereitung und
* auf keinen Fall sensationsgierig
erfolgt. Ansonsten wird Panik geschürt, die am Ende dazu beitragen
kann, eine Wirtschaftskrise herbeizureden.
Verantwortung der Bürger
11. Auch jeder Einzelne ist in der augenblicklichen Situation gefragt.
Es gibt keinen Grund zur Panik! Weiterhin können wir Bürger unserem
Banken- und Finanzsystem vertrauen. Bürger, die ihre Sparkonten räumen
und privat große Bargeldbestände aufbauen, müssen sich bewusst sein,
dass dies für unser Wirtschaftssystem gefährlich ist. Wenn wir dies
alle tun, dann fördert dies die negative Entwicklung und führt zu
einer dramatischen Rezession, in der wir alle wirtschaftlich verlieren
werden.
12. Schließlich müssen wir Bürger Geduld haben. Die Finanzkrise ist
nicht von heute auf morgen gekommen und wird auch nicht von heute auf
morgen gehen. Trotzdem dürfen wir darauf vertrauen, dass die von
Politik, Banken, Verbänden und Unternehmen ergriffenen Maßnahmen
helfen und unser Wirtschaftssystem zudem über ausreichende
Selbstheilungskräfte verfügt.
gez.
Prof. Dr. Hans-Peter Burghof
Institut für Betriebswirtschaftslehre, Inhaber des Lehrstuhls für
Bankwirtschaft
Prof. Dr. Markus Voeth
Institut für Betriebswirtschaftslehre, Inhaber des Lehrstuhls für
Marketing
Prof. Dr. Stefan Kirn
Institut für Betriebswirtschaftslehre, Inhaber des Lehrstuhls für
Wirtschaftsinformatik II
Prof. Dr. Mareike Schoop
Institut für Betriebswirtschaftslehre, Inhaberin des Lehrstuhls für
Wirtschaftsinformatik I
Prof. Dr. Harald Hagemann
Institut für Volkswirtschaftslehre, Inhaber des Lehrstuhls für
Wirtschaftstheorie
Prof. Dr. Christian Ernst
Institut für Haushalts- und Konsumökonomik, Inhaber des Lehrstuhls für
Ökonomik sozialer Dienstleistungen
Prof. Dr. Jochen Streb
Institut für Kulturwissenschaften, Inhaber des Lehrstuhls für
Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Prof. Dr. Rolf Caesar
Institut für Volkswirtschaftslehre, Inhaber des Lehrstuhls für
Finanzwissenschaft
Prof. Dr. Ulrich Mell
Institut für Kulturwissenschaften, Inhaber des Lehrstuhls für
Evangelische Theologie
Prof. Dr. Christina Escher-Weingart
Institut für Rechtswissenschaft, Inhaberin des Lehrstuhls für
Bürgerliches Recht
Prof. Dr. Ulrich Schwalbe
Institut für Volkswirtschaftslehre, Inhaber des Lehrstuhls für
Mikroökonomik, insbesondere Industrieökonomik
Prof. Dr. Gerhard Wagenhals
Institut für Volkswirtschaftslehre, Inhaber des Lehrstuhls für
Statistik und Ökonometrie
Prof. Dr. Alfons Backes-Haase
Professur für Berufs- und Wirtschaftspädagogik
Prof. Dr. Michael Schramm
Institut für Kulturwissenschaften, Inhaber des Lehrstuhls für
katholische Theologie und ihre Didaktik sowie Wirtschaftsethik
Prof. Dr. Dirk Hachmeister
Institut für Betriebswirtschaftslehre, Lehrstuhl für Rechnungswesen
und Finanzierung
Prof. Dr. Dr. Michael Schenk
Institut für Sozialwissenschaften, Lehrstuhl für
Kommunikationswissenschaften und Sozialforschung
Prof. Dr. Werner F. Schulz
Institut für Betriebswirtschaftslehre, Inhaber des Lehrstuhls für
Umweltmanagement
Prof. Dr. Armin Dittmann
Institut für Rechtswissenschaft, Inhaber des Lehrstuhls für
Öffentliches Recht
Prof. Dr. Thomas Beißinger
Institut für Volkswirtschaftslehre, Inhaber des Lehrstuhls für
Dienstleistungs- und Arbeitsmarktökonomik
Prof. Dr. Diethelm Jungkunz
Lehrstuhl für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität
Hohenheim
vorgelegt von Bernd P. Holst
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