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15.06.2008
Pfändungsschutz nur für Arbeitnehmer und Beamte? - Vorsorgeaufwendungen Selbständiger sind pfändbar
Gelesen von Andy Grote, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft

Wer regiert eigentlich in diesem Land? Bundeskabinett, Bundestag und Bundesrat haben sich seit 2005 mit der längst überfälligen Lösung des Problems der Absicherung der Altersvorsorge Selbständiger auseinandergesetzt. Mit dem am 31.03.2007 in Kraft getretenen „Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge“ sollte die Altersvorsorge Selbständiger, insbesondere Lebens- und private Rentenversicherungen, vor dem Vollstreckungszugriff der Gläubiger genauso geschützt werden wie in §§ 850 a ff ZPO etwa Rente und Pensionen bei abhängig Beschäftigten. Der im Insolvenzfall oft vollständige Verlust der Alterssicherung Selbständiger sollte beseitigt und so auch der Staat von Sozialleistungen entlastet werden. Ende gut alles gut? Weit gefehlt.

Gesetz mit Lücken und Tücken

Das Pfändungsschutzgesetz ändert die Zivilprozessordnung (ZPO) und fügt die neuen §§ 851c und 851d ein. Danach unterliegen eigene Rentenansprüche aus privaten Versicherungen des Selbständigen den Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO nur dann, wenn alle 4 nachfolgenden Voraussetzungen vorliegen: 1. Die Auszahlung in Rentenform erfolgt nicht vor dem 60.Lebensjahr, es sei denn, es liegt Berufsunfähigkeit vor. 2. Der Selbständige darf über die Ansprüche aus dem Vertrag nicht verfügen, d.h. der Einsatz zur Kreditsicherung muß im Vertrag ausgeschlossen sein. 3.Die Bezugsberechtigung eines Dritten mit Ausnahme der Hinterbliebenen muß ausgeschlossen sein. 4. Die Zahlung einer Kapitalleistung muß mit Ausnahme des Todesfalls ausgeschlossen sein. Für Selbständige aus dem Bereich der KMU mehrheitlich kaum erfüllbare Vorbedingungen. Das Gesetz ignoriert schlicht deren Existenzbedingungen. Pfändungsschutz nur auf dem Papier. Der BGH geht jetzt noch darüber hinaus.

Beschluß des BGH

Bereits im Beschluß vom 07.04.2005 (IX 138/04) erklärt der BGH Vorsorgeverträge mit Zusagen für eine betriebliche Altersversorgung an Geschäftsführer für pfändbar, und gestattet deren Einziehung ausdrücklich auch bei wirksamer Verpfändung und Unverfallbarkeit. Am 15.11.2007 hat nun der IX Zivilsenat des Bundesgerichtshofs durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer und die Richter Dr. Ganter, Dr. Kayser, Prof Gehrlein und Vill beschlossen, dass private Versicherungs- und Vorsorgerenten Selbständiger keinen Pfändungsschutz genießen. (IX ZB 99/05). Zur Pfändung frei gegeben sind somit Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherungen ebenso wie die gesamte private Altersvorsorge einschließlich der sogenannten „Rürup-Rente“. Letztere wurde bekanntlich mit dem Prädikat „pfändungssicher“ verkauft.

Begründung des BGH

1. Selbständige beziehen kein Arbeitseinkommen
Der BGH argumentiert, dass „nur auf Versicherungsverträgen beruhende Rentenbezüge von Beamten und Arbeitnehmern durch § 850 Abs. 3 lit b ZPO dem unter einschränkenden Voraussetzungen pfändbaren Arbeitseinkommen gleichgestellt sind. Es sei „rechtssystematisch gerechtfertigt, als Arbeitseinkommen im engeren Sinn nur die Einkünfte von Beamten und Angestellten zu bezeichnen.“ Mit Einfügung des § 851c durch das „Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge“ in die ZPO habe der Gesetzgeber selbst zum Ausdruck gebracht, dass Altersrenten von Selbständigen kein Arbeitseinkommen sind und darum nach § 850 Abs. 3 lit b ZPO keinen Pfändungsschutz genießen. Die Ungleichbehandlung von Selbständigen sei im übrigen verfassungsgemäß. Als Rechtfertigung dieser These wird ausgeführt: 2. Selbständige sind in geringerem Maße schutzbedürftig
„Einmal erscheinen Selbständige auch heute noch in geringerem Maße schutzbedürftig, weil die mit der Ausübung ihrer Tätigkeit regelmäßig verknüpften höheren Erwerbschancen auch eine weitergehende vollstreckungsrechtliche Inanspruchnahme nahe legen. Zum anderen steht es Selbständigen frei (§ 7 SGB VI) durch Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung mit Pfändungsschutz ausgestatte (§ 54 Abs. 4 SGB I, §§ 850 ff ZPO) Versorgungsbezüge (vgl. BGH, Beschl. v. 25. August 2004 – IXa ZB 271/03, NJW 2004, 3771) zu erwerben. Der Gesetzgeber ist darum nicht gehalten jede zulässige eigenverantwortliche Gestaltung der Altersvorsorge vollstreckungsrechtlich gleich zu behandeln.“

Kritik am Beschluß

Die Ungleichbehandlung von Selbständigen wird mit deren höheren Erwerbschancen begründet. Wessen Erwerbschancen dienen denn hier als Maßstab? Vielleicht die von Bundesrichtern? Nach der Besoldungsgruppe R 6 wird deren Tätigkeit bei einem Verheirateten ohne Kinder regelmäßig einschließlich Zulagen für Weihnachts- und Urlaubsgeld mit 107.352 € p.a. besoldet. Hinzu kommen Zuschläge. Von dieser Erwerbsrealität der Bundesrichter sind trotz von diesen gemutmaßter „höherer Erwerbschancen“ die Einkünfte vieler Selbständiger weit entfernt. Die tatsächlichen Existenzbedingungen von Selbständigen waren für die Begründung des BGH offensichtlich nicht relevant. Das Pfändungsschutzgesetz hat Lücken und Tücken. Dessen Intention geht dem BGH gleichwohl zu weit. So könne „... die Überlegung, dass Selbständigen aufgrund einer gehobenen sozialen Stellung eine höhere Verantwortlichkeit und Mündigkeit zukomme, für sich genommen nicht mehr allein geeignet sein die unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen.“ Im Klartext: eine neue Rechtfertigung der Ungleichbehandlung muß her: Die „höheren Erwerbschancen“.

Forderung an die Politik

Die Argumentation des BGH erscheint ebenso durchsichtig wie gesellschaftspolitisch skandalös. Das „Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge“ beseitigt die Ungleichbehandlung nicht und lässt Raum für vielgestaltige Missinterpretationen. Gut gemeint ist auch hier leider nicht gut gemacht. Die Intentionen des Gesetzgebungsvorhabens wurden mit dem Gesetzestext nicht umgesetzt.

Die VBV fordert hierzu:
1. Beseitigung der Ungleichbehandlung von Vorsorgeaufwendungen und Versorgungsleistungen beim Pfändungsschutz.
2. Schutz der Altersvorsorge Selbständiger vor dem Vollstreckungszugriff der Gläubiger ohne Vorbedingungen wie bei Renten und Pensionen, d. h. Änderung des § 851c ZPO.
3. Befassung mit den realen Existenzbedingungen Selbständiger - Beseitigung diskriminierender Vorstellungen.

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