Pfändungsschutz nur für Arbeitnehmer und Beamte? - Vorsorgeaufwendungen Selbständiger sind pfändbar
Gelesen von Andy Grote, Mitglied der Hamburger Bürgerschaft
Wer regiert eigentlich in diesem Land? Bundeskabinett, Bundestag und Bundesrat
haben sich seit 2005 mit der längst überfälligen Lösung des Problems der
Absicherung der Altersvorsorge Selbständiger auseinandergesetzt. Mit dem am
31.03.2007 in Kraft getretenen „Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge“
sollte die Altersvorsorge Selbständiger, insbesondere Lebens- und private
Rentenversicherungen, vor dem Vollstreckungszugriff der Gläubiger genauso
geschützt werden wie in §§ 850 a ff ZPO etwa Rente und Pensionen bei abhängig
Beschäftigten. Der im Insolvenzfall oft vollständige Verlust der Alterssicherung
Selbständiger sollte beseitigt und so auch der Staat von Sozialleistungen entlastet
werden. Ende gut alles gut? Weit gefehlt.
Gesetz mit Lücken und Tücken
Das Pfändungsschutzgesetz ändert die Zivilprozessordnung (ZPO) und fügt die
neuen §§ 851c und 851d ein. Danach unterliegen eigene Rentenansprüche aus
privaten Versicherungen des Selbständigen den Pfändungsgrenzen des § 850c ZPO
nur dann, wenn alle 4 nachfolgenden Voraussetzungen vorliegen: 1. Die Auszahlung
in Rentenform erfolgt nicht vor dem 60.Lebensjahr, es sei denn, es liegt
Berufsunfähigkeit vor. 2. Der Selbständige darf über die Ansprüche aus dem Vertrag
nicht verfügen, d.h. der Einsatz zur Kreditsicherung muß im Vertrag ausgeschlossen
sein. 3.Die Bezugsberechtigung eines Dritten mit Ausnahme der Hinterbliebenen
muß ausgeschlossen sein. 4. Die Zahlung einer Kapitalleistung muß mit Ausnahme
des Todesfalls ausgeschlossen sein. Für Selbständige aus dem Bereich der KMU mehrheitlich kaum erfüllbare Vorbedingungen. Das Gesetz ignoriert schlicht deren Existenzbedingungen. Pfändungsschutz nur auf dem Papier. Der BGH geht jetzt noch darüber hinaus.
Beschluß des BGH
Bereits im Beschluß vom 07.04.2005 (IX 138/04) erklärt der BGH Vorsorgeverträge
mit Zusagen für eine betriebliche Altersversorgung an Geschäftsführer für pfändbar,
und gestattet deren Einziehung ausdrücklich auch bei wirksamer Verpfändung und
Unverfallbarkeit. Am 15.11.2007 hat nun der IX Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer und die Richter Dr. Ganter, Dr. Kayser,
Prof Gehrlein und Vill beschlossen, dass private Versicherungs- und Vorsorgerenten
Selbständiger keinen Pfändungsschutz genießen. (IX ZB 99/05).
Zur Pfändung frei gegeben sind somit Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherungen
ebenso wie die gesamte private Altersvorsorge einschließlich der sogenannten
„Rürup-Rente“. Letztere wurde bekanntlich mit dem Prädikat „pfändungssicher“
verkauft.
Begründung des BGH
1. Selbständige beziehen kein Arbeitseinkommen
Der BGH argumentiert, dass „nur auf Versicherungsverträgen beruhende
Rentenbezüge von Beamten und Arbeitnehmern durch § 850 Abs. 3 lit b ZPO dem
unter einschränkenden Voraussetzungen pfändbaren Arbeitseinkommen
gleichgestellt sind. Es sei „rechtssystematisch gerechtfertigt, als Arbeitseinkommen
im engeren Sinn nur die Einkünfte von Beamten und Angestellten zu bezeichnen.“
Mit Einfügung des § 851c durch das „Gesetz zum Pfändungsschutz der
Altersvorsorge“ in die ZPO habe der Gesetzgeber selbst zum Ausdruck gebracht,
dass Altersrenten von Selbständigen kein Arbeitseinkommen sind und darum nach §
850 Abs. 3 lit b ZPO keinen Pfändungsschutz genießen. Die Ungleichbehandlung
von Selbständigen sei im übrigen verfassungsgemäß. Als Rechtfertigung dieser
These wird ausgeführt:
2. Selbständige sind in geringerem Maße schutzbedürftig
„Einmal erscheinen Selbständige auch heute noch in geringerem Maße
schutzbedürftig, weil die mit der Ausübung ihrer Tätigkeit regelmäßig verknüpften
höheren Erwerbschancen auch eine weitergehende vollstreckungsrechtliche
Inanspruchnahme nahe legen. Zum anderen steht es Selbständigen frei (§ 7 SGB VI)
durch Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung mit Pfändungsschutz ausgestatte
(§ 54 Abs. 4 SGB I, §§ 850 ff ZPO) Versorgungsbezüge (vgl. BGH, Beschl. v. 25.
August 2004 – IXa ZB 271/03, NJW 2004, 3771) zu erwerben. Der Gesetzgeber ist
darum nicht gehalten jede zulässige eigenverantwortliche Gestaltung der
Altersvorsorge vollstreckungsrechtlich gleich zu behandeln.“
Kritik am Beschluß
Die Ungleichbehandlung von Selbständigen wird mit deren höheren
Erwerbschancen begründet. Wessen Erwerbschancen dienen denn hier als
Maßstab? Vielleicht die von Bundesrichtern? Nach der Besoldungsgruppe R 6 wird
deren Tätigkeit bei einem Verheirateten ohne Kinder regelmäßig einschließlich
Zulagen für Weihnachts- und Urlaubsgeld mit 107.352 € p.a. besoldet. Hinzu
kommen Zuschläge. Von dieser Erwerbsrealität der Bundesrichter sind trotz von
diesen gemutmaßter „höherer Erwerbschancen“ die Einkünfte vieler Selbständiger
weit entfernt. Die tatsächlichen Existenzbedingungen von Selbständigen waren für
die Begründung des BGH offensichtlich nicht relevant. Das Pfändungsschutzgesetz
hat Lücken und Tücken. Dessen Intention geht dem BGH gleichwohl zu weit. So
könne „... die Überlegung, dass Selbständigen aufgrund einer gehobenen sozialen
Stellung eine höhere Verantwortlichkeit und Mündigkeit zukomme, für sich
genommen nicht mehr allein geeignet sein die unterschiedliche Behandlung zu
rechtfertigen.“ Im Klartext: eine neue Rechtfertigung der Ungleichbehandlung muß
her: Die „höheren Erwerbschancen“.
Forderung an die Politik
Die Argumentation des BGH erscheint ebenso durchsichtig wie gesellschaftspolitisch
skandalös. Das „Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge“ beseitigt die
Ungleichbehandlung nicht und lässt Raum für vielgestaltige Missinterpretationen. Gut
gemeint ist auch hier leider nicht gut gemacht. Die Intentionen des
Gesetzgebungsvorhabens wurden mit dem Gesetzestext nicht umgesetzt.
Die VBV fordert hierzu:
1. Beseitigung der Ungleichbehandlung von Vorsorgeaufwendungen und
Versorgungsleistungen beim Pfändungsschutz.
2. Schutz der Altersvorsorge Selbständiger vor dem Vollstreckungszugriff der
Gläubiger ohne Vorbedingungen wie bei Renten und Pensionen, d. h.
Änderung des § 851c ZPO.
3. Befassung mit den realen Existenzbedingungen Selbständiger - Beseitigung
diskriminierender Vorstellungen.
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