Michael Neumann schreibt am 3. August 2004 in der "Welt"
(
www.welt.de)
Für gute Ideen gibt es immer einen Mülleimer
Man nennt sie "Überzeugungstäter" - Menschen, die etwas machen, weil sie nicht anders können. Nein, diese Leute tauchen in keiner Kriminalstatistik auf, allenfalls hin und wieder im Rathaus oder in einem der Bezirksämter.
Da bekommen sie als Lohn für ihre Überzeugungstaten schlimmstenfalls einen Zinnteller überreicht, eingewickelt in die klimpernden Sätze vom "Dank der Stadt", und meist sind diese Leute froh, wenn sie nach überstandener Prozedur wieder an ihre Arbeit gehen dürfen.
Tausende von denen waren am Sonntag bei den HEW-Cyclassics am Start - nicht in bunte Wurstpellen gezwängt und auf dem Rad, sondern an der Strecke. Die kleinen und großen Helfer, von Polizei und Feuerwehr, von Hilfsorganisationen, Verbänden oder der Stadtreinigung. Und noch mal Tausende haben dieses Rennen ganz privat zu ihrer Herzenssache gemacht. Sie haben nicht nur gefragt, wo sie anpacken und helfen können. Sie haben es getan. Ohne Stundenlohn und Fahrkostenpauschale, ohne Überstundenausgleich und vor allem ohne Aussicht auf einen Zinnteller. Überzeugungstäter eben.
Dass gerade der ehrenamtliche Einsatz so etwas wie den Marathon oder die Cyclassics in Hamburg erst möglich macht, wissen wir alle. Und wir haben es so oft gehört und gelesen, dass ich es gar nicht mehr aufschreiben sollte. Um so schlimmer, dass - trotz aller Diskussionen zum Thema Entbürokratisierung - immer noch Überzeugungstäter an Verwaltungshürden hängen bleiben, stürzen, sich die Nasen blutig stoßen.
Ein Glück, dass sie sich immer wieder aufrappeln und weiter machen. So eine Geschichte habe ich bei einem Besuch in Barmbek-Nord erzählt bekommen: Dort bemühen sich Anwohner und Geschäftsleute darum, aus der Fuhlsbüttler Straße eine attraktivere Einkaufszone zu machen. Sie gründeten den Verein "FuhleVision" - und es entstanden Blumenoasen im Beton und viele gute Ideen. Die von den Parkbänken zum Beispiel. In kleinen Nischen, an schattigen Plätzen wollte man Parkbänke aufstellen - eine schöne Vorstellung an Tagen wie diesen. Sponsoren für die Bänke zu finden, sollte für die Ladeninhaber kein Problem sein. Also wendeten die sich schon mal an die Verwaltung. Die fand die Idee klasse.
Doch dann kam das große "aber": Wenn irgendwo "im öffentlichen Raum" eine Bank aufgestellt werden soll, dann ist die nur "genehmigungsfähig", wenn ein Mülleimer daneben steht. "Gut", dachten sich die Überzeugungstäter, "das sollte ja städtebaulich und tiefbauabteilungstechnisch nicht das größte Problem sein." Vielleicht könne man ja einen bekommen. "Ginge schon", hieß es - aber Mülleimer sind kontingentiert. Was bedeutet: Nur wenn irgendwo einer abgebaut wird, kann woanders einer hin. Sonst droht wahrscheinlich die flächendeckende Vermülleimerung von Barmbek-Nord. Also: Kein Eimer. Und deshalb keine Bank. Keine ausruhenden Einkäufer, die noch schnell ein Eis von "Venezia" mitnehmen. Kein Umsatz, keine Steuern, keine Minimalkonjunktur. Stattdessen demnächst eine Tour zum nächsten Einkaufszentrum, wo man noch in der Umkleidekabine stehend fast schon den Milchkaffee nebenan bestellen kann.
Fazit: Wir haben viele engagierte Menschen mit vielen guten Ideen. Wir haben viele Verwaltungsvorschriften und noch mehr Durchführungsbestimmungen. Was uns fehlt sind Mülleimer. Könnte man nicht die Zinnteller einschmelzen und aus ihnen ... - nein, das ginge dann wohl wirklich zu weit.