Gelesen von Bernd P. Holst
Der deutsche Finanzstaatssekretär Thomas Mirow ist in Kiew einstimmig zum neuen Präsidenten der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) gewählt worden. Er war der einzige Kandidat für das Amt, das seit dem Jahr 2000 der Franzose Jean Lemierre inne hatte.
Mirow übernimmt die Führung in dem auch als Osteuropabank bekannte Finanzinstitut in einer schwierigen Zeit: Unter den 63 nationalen und supranationalen Anteilseigner ist nach der EU-Osterweiterung eine Diskussion über die zukünftige Ausrichtung der Bank entbrannt.
Mirow hält sich derzeit daher mit strategischen Aussagen zurück: „Eine meiner wesentlichen Aufgaben wird es sein, die Bank auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten und sicher zu stellen, dass sie so erfolgreich arbeitet wie bisher“, sagte der dem Handelsblatt.
Ein wichtiger Schritt im Zuge einer Neuausrichtung der EBRD ist die Aufnahme der Türkei. Obwohl sich die Gouverneure in Kiew anlässlich ihrer Jahrestagung klar dafür aussprachen, die Beitrittskriterien für die Türkei festzulegen, ist die Aufnahme nicht unumstritten: „Es gibt eine breite Unterstützung für den Wunsch der Türkei Einsatzland zu werden“, sagt Mirow. Die daraus folgenden Konsequenzen müssten aber „sorgfältig diskutiert werden“.
Die Diskussion um eine mögliche Fusion der EBRD mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) ist offenbar wieder in den Hintergrund getreten. Ausgelöst wurde dies auch durch Spekulationen, dass die USA, der größte alleinige Anteilseigner der Osteuropabank, ihr Paket verkaufen und so den Weg für den Einstieg der EIB öffnen könnte.
Dem neuen EBRD-Chef zufolge wollen die Amerikaner aber dabei bleiben, „sie sind an der Fortentwicklung der Bank sehr interessiert“. Bisher will nur Australien der EBRD den Rücken kehren, was mit australischen Anteilen geschieht, ist aber noch offen.
Die Osteuropabank sieht ihre Aufgabe auch angesichts der erfolgreichen EU-Osterweiterung und dem Rohstoffboom in Ländern wie Russland und Kasachstan noch bei weitem nicht als abgeschlossen an: Die Aussichten für die Länder seien positiv, sagte der scheidende Bank-Präsident Lemierre. Allerdings wachse das Inflationsrisiko – in der Ukraine liegt die Geldentwertung derzeit bei 30 Prozent – was wiederum die Volkswirtschaften labiler mache.
Die Bank stufte die Wachstumserwartungen für die Region auch aufgrund der Auswirkungen der internationalen Finanzkrise im Schnitt auf sechs Prozent für dieses Jahr ein, nach 7,3 Prozent im vergangenen.
Der „Stress“ auf den westlichen Finanzmärkten könnte dazu führen, dass der Zufluss von Kapital in die Region stärker als erwartet nachlasse. Dies wiederum könnte Folgen für die Länder haben, die auf ausländische Finanzquellen angewiesen seien, erwarten die Analysten der EBRD.
Die Osteuropabank war 1991 nach dem Fall der Mauer gegründet worden, um den Aufbau der Marktwirtschaft in den ehemals kommunistischen Ländern Europas zu fördern und ist inzwischen auch in Zentralasien und sogar der Mongolei aktiv. Der letzte Deutsche auf dem Chefsessel der Bank, war der heutige Bundespräsident Horst Köhler.
Die Erfahrungen, die er auf diesem Posten sammelte, empfahlen ihn später für den Chefsessel des Internationalen Währungsfonds (IWF). Seit Köhlers Rückzug als IWF–Chef vor vier Jahren hat Deutschland keinen Spitzenposten einer internationalen Organisation besetzt.
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